Hamburg Schanze
Die Schanze – der Name spricht für sich selbst. Und das aus gutem Grund. Denn schließlich ist das Quartier DAS Synonym für lebendige, dynamische Stadtentwicklung und Urbanisierung und für alternative, multikulturelle Stadtteil- und Protestkultur in Hamburg. Es gibt wohl keinen anderen Stadtteil in der Hansestadt, der sich in den letzten 40 Jahren so rasant und grundlegend verändert hat und in dem neue Urbanisierungstrends wie Gentrifizierung und Strukturwandel so schnell voranschreiten und im Stadtbild so sichtbar sind. Kein anderes Quartier in der Elbmetropole vereint so viele Widersprüche und Gegensätze in sich, hat in den letzten Jahrzehnten für so viele Schlagzeilen gesorgt und so stark polarisiert und politisiert, steht so sehr im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und ist gerade deswegen so bekannt wie das Schanzenviertel.
Party-, Flanier- und Shoppingmeile für Yuppies und Hipster, linksalternative Hochburg, Spekulationsobjekt und Goldgrube für Investoren und Vermieter, Schlachtfeld für Krawalltouristen, rechtsfreie Zone beim G20-Gipfel – die Schanze hat viele Gesichter. Sie wollte niemals irgendetwas davon sein – und ist es doch alles auf einmal. Und es sind gerade diese vielen verschiedenen und kontroversen Facetten des Quartiers, die seinen ganz eigentümlichen, liebenswerten Charme ausmachen.
Heute kann der Stadtteil stolz auf eine jahrzehntelange, wechselvolle Geschichte zurückblicken. Seine hohe Popularität als Amüsier-, Vergnügungs- und Szeneviertel und sein heutiges äußeres Erscheinungsbild sind das Ergebnis eines urbanen Veränderungsprozesses, der vor 40 Jahren begann und immer noch im Gange ist. Dieser lässt sich besser verstehen, wenn man ihn sich einmal im Schnelldurchlauf anschaut.
Bis zum Ende der 1970er Jahre war die Schanze ein heruntergekommenes, verschlafenes Hinterhofsviertel mit dörflichem Charakter, überschaubarer Nachbarschaft, gemütlichen Kneipen und überschaubarem Nachtleben. Aufgrund der niedrigen Mieten bot der Stadtteil vor allem für einkommensschwache Bevölkerungsschichten wie Schüler, Studenten, Arbeitslose, Rentner und Migranten bezahlbaren Wohnraum. Man kannte sich und blieb gerne unter sich.
Anfang der 1980er Jahre wurde das Quartier zum Ausgangspunkt für eine neue antibürgerliche Protest- und Widerstandsbewegung gegen das politische Establishment und zum Sammelbecken für verschiedene ökologische, basisdemokratische und linksalternative Strömungen mit einer starken politischen Aufbruchstimmung. Den Höhepunkt dieser Entwicklung markierte die Besetzung der Bauruine des früheren „Concerthaus Flora“ im Jahre 1989 durch Linksautonome und deren Umwandlung in ein linksalternatives, multikulturelles Stadtteilkulturzentrum. Dies geschah als Protest gegen die an diesem Standort geplante Errichtung des neuen Musicaltheaters „Neue Flora“ und aus Angst vor einem Ausverkauf und einer Kommerzialisierung des Schanzenviertels.
Seitdem gilt die „Rote Flora“ als DAS Symbol von linksautonomem Widerstand gegen das politische Establishment in Deutschland. Sie begründete das „coole“ linksalternative Image des Quartiers, das die Grundlage für die bis heute ungebrochene Anziehungskraft und für den bis heute andauernden Wandel dieses Stadtteils ist.
In den 1990er Jahren wurden die „New Economy“ und die Marketing-, Werbe- und Kreativwirtschaft von diesem Image angezogen und eroberten das Schanzenviertel für sich. Der Stadtteil wurde mehr und mehr zum Tummelplatz für die aufkommende Online Marketing-Branche, Fotografen, Webdesigner, Freiberufler und die innovative Gründer- und Start-Up-Szene, die sich hier mit Büros und Geschäften niederließen.
Diese Entwicklung zum Szeneviertel ging – bedingt durch den Zuzug von einkommensstärkeren Bevölkerungsschichten – mit einem demografischen Wandel und einer Veränderung der Sozialstruktur in der Schanze einher, die bis heute ungebrochen anhalten. Die steigende Nachfrage nach Wohnraum und die Yuppisierung führten hier zu einem starken Mietanstieg, zu einer zunehmenden Umwandlung von öffentlichem Wohnraum in Eigentumswohnungen und zu einer immer stärkeren Verdrängung von einkommensschwachen Bevölkerungsschichten und alteingesessenen Anwohnern und Geschäften. Dies wiederum befeuerte den Protest und den Widerstand von Anwohnern und der linksalternativen Szene gegen die Gentrifizierung im Quartier.
In den 2000er Jahren sorgte der Stadtteil regelmäßig pünktlich zum 1. Mai und zum „Schanzenfest“ mit Demonstrationen und Straßenschlachten zwischen der Polizei und linksautonomen Chaoten und Krawalltouristen für Schlagzeilen.
Und der nächste Ausverkauf des Quartiers ließ auch nicht lange auf sich warten. Ab der Jahrtausendwende entwickelte sich das Schanzenviertel kontinuierlich zu einer Party- und Shoppingmeile für Yuppies, Hipster und Touristen und zu einer bevorzugten Adresse für Mobilfunkgeschäfte und Mode- und Fashion-Labels. Das merkt man hier vor allem in warmen Sommernächten und bei Live-Übertragungen von Fußballspielen während der Fußball-WM. Dann wird es hier so voll und laut, dass man meint, man sitzt am Ballermann auf Mallorca. Aber neben vielen trendigen Bars und coolen Lounges wie dem Thier, der Katze, dem Saal 2, dem Le Fonque, dem Goldfischglas und der O-Feuer-Bar prägen hier bis heute auch noch viele alteingesessene Kneipen wie der Shamrock Pub das Stadtbild.
Und trotz allem Strukturwandel und aller Gentrifizierung in den letzten 40 Jahren hat die Schanze ihren ursprünglichen, liebenswerten und gemütlichen Charme bis heute bewahrt. Sie hat es bis heute immer wieder erfolgreich geschafft, alle Gegensätze, Widersprüche, Urbanisierungstrends und Zielgruppen unter einen Hut zu bringen.